Vorweihnachtliche „Fantasiereisezeit“
Diedrich Hinrichs
Eben nur zur Weihnachtszeit, aber immerhin alle Jahre wieder führt die Theaterfahrt des Gymnasiums Harsefeld unsere Jahrgangsstufe 5 geschlossen an Orte, an denen Zauberhaftes und Fantastisches, nicht minder aber auch Nachdenkenswertes zur Aufführung gelangen: In diesem Jahr machten sich am vergangenen Montag (28.11.11) 138 Schülerinnen und Schüler in Begleitung ihrer Deutschlehrkräfte auf den Weg nach Bremerhaven, um im dortigen Stadttheater die Aufführung einer Bühnenbearbeitung des Jugendbuchklassikers „Momo“ von Michael Ende zu besuchen.
„Die seltsame Geschichte von den Zeitdieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte“, so lautet der Untertitel eines wohl bekannten und vielgelesenen Kinder- und Jugendbuchs in deutscher Sprache. Michael Endes Roman „Momo“, der bereits verfilmt und auch als Hörspiel und Oper vertont wurde, begeisterte nun in einer Bühnenbearbeitung, aufgeführt am Bremerhavener Stadttheater, unsere Fünftklässler und zog sie unwiderstehlich in ihren Bann.
Zeitgerecht hatten sich alle Schülerinnen und Schüler unseres jüngsten Jahrgangs am besagten Montagmorgen zum Reiseantritt eingefunden und auf drei Busse verteilt, um dem heldenhaften Ringen Momos mit den geheimnisvollen „grauen Herren“ beizuwohnen. In der farbenfrohen Fantasiewelt des Stückes, die sich auf einer mit viel Liebe zum Detail entworfenen Bühne dem Auge des Betrachters auftat, werden alle Menschen um ihre kostbare Lebenszeit betrogen, da ihnen von ruchlosen Zeitsparkassen-Agenten vorgegaukelt wird, dass man die eigene Zeit effektiver und um so viel sinnvoller einsetzen könnte, weil es ihrer Ansicht nach Lebensbereiche gebe, in denen man sie schlichtweg einsparen könne.
Wie aber eine Welt — und nicht nur diejenige auf den Bühnenbrettern — aussehen würde, wenn alle Menschen ein persönliches Zeitsparkonto im Sinne der Agenten anlegten, wurde auch dem auf die schwungvolle Aufführung recht lebhaft reagierenden jungen Publikum schnell augenfällig und klar: Wer Zeit spart, nur in Eile und Hektik durch sein Leben hetzt, der singt nicht mehr, macht dem anderen keine Geschenke und hat auch für seinen Mitmenschen kaum mehr ein Ohr frei, um ihm noch zuzuhören. Eine graue, von lautloser Stille umfangene und menschenleere Bühne, auf der gerade eben noch bunte Luftballons, ausgelassen fröhlich durch die Lüfte radelnde Kinder sowie vielstimmiger Gesang, Gerede und Gelächter den Raum beherrschten, spiegelt nunmehr eine Menschenwelt wider, mit deren zerbrochener Einrichtung sich die Hauptfigur Momo einfach nicht abfinden mag.
Und so stellt sich die Hauptfigur furchtlos den Zeitdieben, den „grauen Herren“, entgegen und findet Unterstützung und Hilfe durch die Schildkröte Kassiopeia sowie Meister Hora, dem Bewahrer des kostbaren Gutes “Zeit”. Ob aber das Waisenkind Momo mit nichts anderem als einer nur im eigenen Herzen gewachsenen „Stundenblume“ und der gemeinsam mit ihren Verbündeten ausgeklügelten List schließlich obsiegt, das alles — und noch viel mehr — wissen unsere jungen Theaterbesucher nach dem Besuch dieses Stückes sicherlich genau zu erzählen.
Und wenn man eins an der gelungenen Theaterfahrt vielleicht bedauern mag, dann wohl allein die Tatsache, dass der verdiente Publikumsapplaus für die Darstellerinnen und Darsteller am Ende viel zu früh aufbrandete, weil man sich von ihnen genötigt sah, schon so zeitig die eigene Fantasiereise abbrechen zu müssen. Aber an diesem Tage hatten alle Besucher anscheinend nur eine einzige „Stundenblume“ gepflückt und auch Meister Hora, den man vielleicht noch als Verbündeten hätte bemühen können, um eine „Fantasiereisezeitverlängerung“ zu erwirken, vermag bekanntermaßen eben nur eine gute Stunde lang die Welt anzuhalten.
{gallery}weihnachtstheater2011{/gallery}