Politisch Handeln — Planspiel „Demokratie und Extremismus“
Diedrich Hinrichs
Wie man politische Prozesse innerhalb der Gesellschaft Schülerinnen und Schülern unmittelbar erfahrbar und transparent macht, erfuhr kürzlich (26.08.2011) ein Politik-Kurs der Jahrgangsstufe 12 während eines ganztägigen Projektseminars. Im Rahmen eines Planspiels standen sie vor der Aufgabe, in einer offenen Bürgersitzung und in der Auseinandersetzung mit extremistischen Gruppierungen Lösungsansätze für den Umgang mit politisch motivierten Aufmärschen auf einer Gedenkfeier zu entwickeln.
Wie reagiert eine demokratische Gesellschaft, wenn extremistische Gruppen versuchen, den Friedhof des Ortes mit Opfern aus dem Zweiten Weltkrieg anlässlich des Maifeiertages für propagandistische Zwecke zu nutzen und dort mit der Absicht, der „wahren Helden“ zu gedenken, aufmarschieren wollen? Vor diesem Problem sahen sich die Primaner des Politikkurses von Studienrat Sönke Etzel in dem Planspiel „Demokratie und Extremismus“ gestellt, das von zwei Mitarbeitern der Niedersächsischen Extremismus-Informations-Stelle (NEIS), Herrn Schomburg und Herrn Mari, geleitet wurde. In einer von den Schülern vorzubereitenden und anschließend abzuhaltenden Bürgersitzung hatten diese sich damit konkret handelnd auseinanderzusetzen und in Abwägung aller divergierenden Interessen zu entscheiden, wie mit den angekündigten Veranstaltungen umzugehen sei.
Bevor aber diese Zusammenkunft stattfinden konnte, ordneten sich die Schülerinnen und Schüler zunächst unterschiedlichen Parteien und politischen Gruppierungen zu, deren jeweilige politische Denk- und Sinnesart vorgegeben war: Den demokratischen Parteien, die sich an den Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung orientieren, standen als Antipoden Rechts- und Linksextremisten sowie Islamisten gegenüber, die sich trotz ideologisch unterschiedlicher Ausrichtung darin einig sind, die freiheitlich demokratische Grundordnung zersetzen zu wollen. Darüber hinaus wurden von einer Pressegruppe im Verlauf des Planspiels regelmäßig Berichte über die neuesten Entwicklungen in Sachen „Heldengedenken auf unserem Friedhof“ publiziert.
Nachdem die Parteien und Gruppierungen intern ihr jeweiliges politisches Selbstverständnis in Form einer Satzung sowie eines Slogans definiert hatten und eine Kandidatenliste für die Bürgersitzung aufgestellt worden war, galt es dann, tragfähige Mehrheiten für die eigenen Kandidaten sowie für die von ihnen vertretenen politischen Forderungen zu finden. Zur Überraschung der Beteiligten kam es dabei auch zu Bündnissen zwischen den unterschiedlichen extremistischen Gruppen, denen es allem Anschein nach lediglich darum ging, „mit leeren Versprechungen auf Stimmenfang zu gehen“, wie es eine Schülerin später formulierte.
Dass politisches Handeln wesentlich von Kompromissen bestimmt wird und man nur selten alle Interessen „unter einen Hut“ zu bringen vermag, stellte sich als eine weitere Erkenntnis bei den Schülern ein. Gerade dann, wenn man sich als demokratische Partei einem Grundrecht wie der Meinungsfreiheit verpflichtet fühlt und für diese eintritt, lassen sich in einem demokratischen Gremium wie der Bürgerversammlung nicht so einfach Veranstaltungen anderer Gruppierungen verbieten, ohne dass man selber in das Fahrwasser undemokratischen Handelns und Verhaltens gerät.
Am Schluss der Bürgerversammlung wurden dann auch gleich zwei alternative Kompromisslösungen erzielt: Im einen Fall wollte man die Aufmärsche aller extremistischen Gruppierungen unter polizeilicher Sicherung genehmigen, zukünftig aber durch die Neuanlage eines muslimischen Friedhofs dafür Sorge tragen, die Konfliktsituation zu entschärfen. Im anderen Fall sollte nur den Linksextremisten und den Islamisten, die sich zur Abhaltung einer friedlichen Gedenkfeier verpflichtet hatten, der Aufmarsch und die Errichtung eines Mahnmals gestattet werden.
Zwar sind manche Vorgaben in einem Planspiel mit der politischen Wirklichkeit und den tatsächlich gegebenen Verhältnissen nicht vollständig deckungsgleich, was auch die Schülerinnen und Schüler im Auswertungsgespräch mit dem Hinweis auf das realitätsferne Koalitionsgebaren „ihrer demokratischen Parteien“ mit den in der Simulation „überrepräsentierten“ Extremisten kritisch anmerkten. Dennoch empfanden die meisten von ihnen die gleichwohl unkonventionelle wie überzeugende Art und Weise der Auseinandersetzung mit der Thematik als überaus spannend und interessant. Und allen Beteiligten sollte wohl auch einsichtig geworden sein, dass Demokratie und Extremismus zwei unvereinbare Gegensätze bilden.
Das Planspiel „Demokratie und Extremismus“ selbst versteht sich als ein Präventionsprojekt, das sich an heranwachsende Jugendliche richtet und in Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport von Mitarbeitern der Niedersächsischen Extremismus-Informations-Stelle an den Schulen angeboten wird. Die Initiatoren verfolgen damit die Absicht, dass Schülerinnen und Schüler in eine demokratische Auseinandersetzung mit dem Extremismus treten und sich letztlich als „aufgeklärte Bürger für die Demokratie und gegen ihre Gegner engagieren“ — ein Leitgedanke, dem sich nicht nur der Politikunterricht in der Oberstufe am Gymnasium Harsefeld verpflichtet fühlt.
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