Nahost-Experte zu Gast
Sina Bredehöft und Mareike Hagenah
Im Rahmen des Kursthemas „Internationales Ringen um Frieden und Sicherheit“ des Jahrgangs 11 am Gymnasium Harsefeld bekamen wir am Dienstag, dem 10.05.2011, Besuch von einem anerkannten Nah-Ost Experten. Claus Herbst diente 28 Jahre in der deutschen Luftwaffe, studierte anschließend Informatik und Betriebswirtschaft und machte schließlich sein großes Hobby, das Reisen, zum Beruf. Er entschied sich, Vorträge an Schulen zu halten und seine Erfahrungen, die er in den bis heute bereisten 125 Ländern gemacht hat, zu teilen. Bis heute besucht er regelmäßig die Staaten im Nahen und Mittleren Osten. So konnte aus erster Hand über die aktuellen Unruhen und Probleme berichten.
Nach der geographischen Eingrenzung seines Themengebietes folgte eine thematische, da nur 90 Minuten zur Verfügung standen. Es sollte in seinem Vortrag um Islamismus, Terrorismus, die vor einigen Wochen eingesetzte Protestbewegung und die aktuelle Situationsveränderung durch den Tod Bin-Ladens gehen, wobei er Wert darauf legte, dass auch Fragen oder Diskussionen ihren Platz finden sollten. Zu Beginn des Vortrags wurde ersichtlich, dass sich die Protestbewegungen und Unruhen in der Region, beispielsweise in Ägypten und Libyen, rasch ausgebreitet haben und dass der Mut der Bevölkerung eines einzigen Landes, aufzustehen und sich nicht länger unterdrücken zu lassen, regelrecht ansteckend ist.
Im Anschluss ging Herr Herbst auf die Verbindung zwischen der Wirtschaft des Westens und der Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens ein. Diese bestehe hauptsächlich darin, dass aus der Region der sogenannten „Energie-Ellipse“ um Saudi Arabien bis zum Kaspischen Meer das vom Westen dringend benötigte Öl geliefert würde. Das Problem sei laut Herbst hierbei, dass aufgrund wirtschaftlicher Interessen oftmals autokratische und demnach undemokratisch Regime in dieser Region vom Westen unterstützt worden wären bzw. noch immer unterstützt würden. Dabei gelte das Prinzip „Stabilität über alles“. Ein weiteres Problem sei die extreme Ungleichverteilung von Wohlstand. In Saudi- Arabien gebe es beispielsweise verhältnismäßig großen Reichtum, wenngleich dessen Verteilung innerhalb der Bevölkerung sehr unausgewogen sei. Dagegen hätten Länder wie Jemen oder der Iran sehr hohe Schulden und dazu eine stetig wachsende Bevölkerung.
Herr Herbst bezeichnete das Mittelmeer als Grenze zwischen zwei verschiedenen Gesellschaften, auf der einen Seite die islamische und auf der anderen die abendländische. Innerhalb der islamischen Welt habe sich jedoch eine Oberschicht gebildet, die die technische Moderne und den westlichen Lebensstil adaptiert hätte. Die über die modernen Medien vermittelten Werte entsprächen aber größtenteils nicht den ursprünglichen islamischen Werten aus Kultur und vor allem Religion. Durch solche Gegensätze komme es zu einem Konflikt zwischen eher modern eingestellten Menschen und jenen, die auf die alten Werte zählten. Viele junge Menschen aus der islamischen Welt würden sich eine offenere Gesellschaft mit einer wirtschaftlichen Perspektive für sie wünschen, deshalb ziehe es sie nach Europa und vor allem auch nach Amerika. Radikale islamistische Gruppierungen würden seiner Meinung nach für viele überwiegend junge Menschen interessant, da die westliche Lebensweise abgelehnt werde, weil diese als Angriff gegen die eigenen traditionellen Gesellschaftsstrukturen empfunden würde.
Herr Herbst wies dann nochmals auf den wichtigen Unterschied zwischen dem Islam und dem Islamismus hin, wobei er dem Islamismus die Fähigkeit absprach, offene gesellschaftliche Fragen beantworten zu können. Der Islam als Religion müsste aus seiner Starre heraustreten und sich noch deutlicher vom Islamismus distanzieren. Für Herbst sei der einzige Ausweg aus den schweren sozialen Problemen dieser Länder deren Demokratisierung und die Einführung von freien Wahlen und angemessener Sozialsysteme. Seiner Ansicht nach sei der Islam sehr wohl mit Demokratie und Menschenrechten vereinbar. Die autokratischen Regime in den meisten Ländern dieser Region stellten das Haupthindernis für einen solchen Transformationsprozess dar. Neben einer anzustrebenden Bildungsoffensive für die größtenteils jüngere Bevölkerung dieser Länder könnten deren gravierende finanzielle Probleme durch einen neuen „Marshallplan“ gelöst werden. Reformen in der arabischen Welt seien seiner Ansicht nach auch im europäischen Interesse, da auf diese Weise den Menschen eine Perspektive im eigenen Land geboten werden könnte.
Es folgte eine Diskussionsrunde zum Thema Toleranz und interkultureller Dialog, wobei der Referent den Standpunkt vertrat, dass Toleranz nicht heiße, andere Einstellungen stets fraglos anzuerkennen. Stattdessen solle sich gerade die jüngere Generation ihrer eigenen Werte bewusster als bisher machen und diese dann auch nach außen im offenen Dialog selbstbewusst vertreten. Seiner Ansicht nach könne durch einen auf diese Art geführten interkulturellen Diskurs das Anerkennen der Andersartigkeit der jeweils anderen Seite erreicht werden. Im nächsten Schritt wäre es dann möglich, ein dauerhaft friedliches Zusammenleben beider Seiten anzustreben.
Letztlich war leider die Zeit zu kurz, um alle Themen, die von Interesse waren, zu besprechen.