Menschen an unserer Schule: Sattelfest in jeder Hinsicht
Diedrich Hinrichs
Wenn Anfang nächster Woche an unserem Gymnasium öffentlich Belobigungen für im abgelaufenen Schuljahr erbrachte besondere Leistungen ausgesprochen werden, wird im Verlauf der vierten Stunde auch eine Persönlichkeit unserer Schule im Forum auf die Bühne gebeten werden, die für gewöhnlich derartige Veranstaltungen verlässlich selbst vorbereitet: Denn mehr als ein Fünftel der beim diesjährigen Stadtradeln zweirädrig und emissionsfrei zurückgelegten Gesamtkilometer des Teams „GY Harsefeld“ steuerte anerkennungswürdig Erwin Jabs bei, der sich damit auch in dieser Hinsicht als überaus sattelfest erwiesen hat.
Solange andere Sommerreifen auf ihren motorisierten Transportvehikeln aufgezogen haben, fährt Erwin Jabs Rad — so um die sieben- bis achttausend Kilometer pro Jahr. Der Gesundheit zuliebe habe er zunächst mit dem Walken angefangen, dann seine frühere Leidenschaft fürs Radfahren wiederentdeckt und schließlich „so richtig Bock aufs Rad gekriegt“.
Zu seinen leichteren Übungen gehört die fast tägliche Route, die ihn nach Feierabend über 63 km von Helmste zum Lühe-Anleger, über Stade an den Elbstrand nach Bassenfleth und wieder zurück führt. Etwas ausgedehnter wird es dann, wenn man das Angenehme mit dem noch Angenehmeren verbinden kann: Dann führt es den Dauerkarteninhaber zur Heimspielstätte des Fußball-Regionalligisten SV Drochtersen/Assel, zuweilen wird aber auch die dafür zu veranschlagende Kilometerleistung (80 km) nochmals getoppt, wenn Auswärtsspiele „seines Vereins“ in der — alles ist schließlich relativ — „näheren” Umgebung anstehen. Und zu guter Letzt die Königsdisziplin, wenn im Sommerurlaub der ca. 640 km lange Elberadweg (von Harsefeld bzw. Hamburg nach Dresden) in gerade einmal zwölf Tagen bewältigt wird.
All dies am liebsten allein auf weiter Flur: „Man genießt die Natur und kommt zurück als anderer Mensch.“ Aber auch Gesprächen mit Gleichgesinnten und Wegbekanntschaften ist Erwin Jabs keineswegs abgeneigt – im Gegensatz zu ihm entgegenradelnden, selten ihn auch überholenden Zweiradfahrenden, die sich auch hierbei mit längst zum Statussymbol gewordenen Kopfhörern selbst fahrlässig um die Unmittelbarkeit des Naturerlebnisses bringen.
Es kann niemand also wirklich wundernehmen, dass der 59-jährige Helmster, der nach 33 Jahren Berufserfahrung als Elektriker seit Mai 2011 zunächst als Unterstützungskraft für „ortsveränderliche elektrische Geräte“ – oder wie er es selbst profaner ausdrückt „für alles, was ‘nen Stecker hat“ — am AGG fest im Sattel sitzt und später neben Torsten Müller unser zweiter Hausmeister wurde, besonders dann Begehrlichkeiten weckt, wenn „wahrhafte Kilometerbringer“ für die sich am STADTRADELN beteiligenden Teams im gesamten Kreis Stade gesucht werden — so auch am AGG: Nachdem Erwin Jabs 2021 bereits Bester unter allen 800 Angestellten des Landkreises Stade gewesen war, wurde seitens unseres Gymnasiums der Versuch unternommen, ihn mehr oder weniger subtil dazu zu bewegen, in diesem Jahr doch für die équipe vélo seines angestammten Dienstortes in die Pedale zu treten.
Nach kurzem Überlegen überzeugte der zwanglose Zwang des besseren Arguments unserer Mittelstufenkoordinatorin. Denn der Aussicht, im Falle einer schnöden Absage bis zum Revidieren dieser zweifelsohne falschen Entscheidung schlicht und ergreifend ein Jahr lang am AGG „gemobbt“ zu werden, konnte unser Hausmeister dann doch nicht ganz so viel Charme abgewinnen.
Auch diesem diplomatischen Verhandlungsgeschick ist es letztlich zu verdanken, dass Erwin Jabs´ 1006,6 km beim diesjährigen STADTRADELN, was einen Tagesschnitt von 48 km entspricht, in die Gesamtbilanz des Teams „GY Harsefeld“ (4816 km) einflossen und nicht irgendwo anders unnötigerweise versickerten.
Während Erwin Jabs also hier das ganz große Rad dreht, fallen die dabei sich mutmaßlich einstellenden Auswirkungen bei ihm nicht minder angenehm auf: eine nach außen getragene Ruhe und Gelassenheit — ganz nach seiner Devise „In der Ruhe liegt die Kraft“. Diese Eigenschaften werden jeder bzw. jedem am AGG unmittelbar ersichtlich und führten auch schon dazu, dass er den Hinweis erhielt, dass wenn man in der Schule einmal selbst völlig am Rad drehe, zur Beruhigung dann zielsicher und mit Gewissheit er aufgesucht werden würde, um ein oder besser gleich zwei Gänge herunterschalten zu können. „Wenn jemand mal aufbraust, kann er zu mir kommen!“, offeriert unser Hausmeister jovial sein Unterstützungsangebot.
Für Inanspruchnehmende dieser kostenfreien Dienstleistung: Ort seiner höchsten Aufenthaltswahrscheinlichkeit ist, wohlgemerkt zu Schulzeiten, das gläserne Hausmeisterrefugium im Schulforum — Erwin Jabs, ein Mensch an unserer Schule.
Fotos: Diedrich Hinrichs