Die ersten “Selbstgezogenen” am Gipfelkreuz angelangt
Diedrich Hinrichs
Am vergangenen Freitagnachmittag (06.07.2012) konnten alle Abiturientinnen und Abiturienten des Jahrgangs 2012 nach ihrer erfolgreichen Abschlussprüfung das von ihnen lang ersehnte Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife entgegennehmen. Die herzlichen Glückwünsche und Gratulationen zum bestandenen Abitur galten allen 57 Abgängern dieses ersten allein auf den Lern- und Lehrfeldern unseres Gymnasiums „selbst gezogenen“ Schülerjahrgangs, der im Rahmen einer würdigen und stimmungsvollen, knapp zwei Stunden dauernden Entlassungsfeier im Beisein zahlreicher Ehrengäste, Familienangehöriger und des Lehrerkollegiums verabschiedet wurde.
“Also lautet der Beschluss, dass der Mensch was lernen muss”
Einem Chor aus Oberstufenschülern unter der Leitung von Frau StR´ Judith Wessel blieb es vorbehalten, mit dem Song „California Dreaming“ im Forum des festlich dekorierten Gymnasiums für die Einstimmung auf die Festveranstaltung an diesem Freitagnachmittag zu sorgen.
Nach diesem musikalischen Auftakt begrüßte dann Schulleiter OStD Johann Book alle geladenen Gäste, insbesondere Herrn Landrat Michael Roesberg, den Landtagsabgeordneten Herrn Helmut Dammann-Tamke und seine Gattin, die stellvertretende Bürgermeisterin der Samtgemeinde Harsefeld Frau Susanne de Bruijn, den Vertreter der Bürgerstiftung der KSK Stade Herrn Wilhelm Hilz, die Vertretung der schulischen Gremien und des Fördervereins, Frau Cordula Schäfer und Herrn Hans-Hinrich Koppelmann, sowie unseren Schülersprecher Maximilian Schäfer.
Vor allem aber war es ihm an diesem Tage ihrer feierlichen Entlassung eine besondere Freude, diejenigen herzlich zu begrüßen, die — im Sinne der Worte Wilhelm Buschs — einsichtig dem Beschluss, „dass der Mensch was lernen muss“, mehr oder minder eifrig Folge geleistet hätten, nämlich die Abiturientinnen und Abiturienten des Jahrgangs 2012 am Gymnasium Harsefeld.
„Mit Mut und Herz, Zuversicht und Freude auf des Lebens große Reise“
Nicht nur für unsere Abitur-Abgänger, sondern auch für den Landrat des Landkreises Stade, Herrn Michael Roesberg, der als erster Redner in seinem Grußwort zunächst den Lehrkräften und Eltern dazu gratulierte, dass sie die nun vor ihm sitzenden „erwachsenen Gesichter“ erfolgreich durch die Irrungen und Wirrungen der Jugendzeit und zum Abitur gebracht haben, schloss sich mit der an diesem Tage begangenen feierlichen Entlassung unserer Abiturienten ein Kreisbogen der besonderen Art: Vor gut acht Jahren hatte der Landrat selbst — damals noch als Erster Kreisrat — den ersten Schülerjahrgang, die diesjährigen Abiturienten, in die Klassenstufe 5 am gerade neu gegründeten Gymnasium Harsefeld in der Aula der damaligen Orientierungsstufe mit eingeschult.
Den von ihnen in der Zwischenzeit angehäuften Verstand und ihr erworbenes, im Langzeitgedächtnis gespeichertes „echtes“ Wissen mögen die nun ersichtlich Gereiften auch dazu verwenden, so die Hoffnung des Stader Landrats, der Gesellschaft etwas zurückzugeben: sei es als demokratische Wähler oder — den eigenen Worten nach sein ganz persönlicher Herzenswunsch — als „Trendveränderer“ der aktuellen demografischen Entwicklung. Für ihren Aufbruch aus der “elterlichen Komfortzone” zur „großen Lebensreise“ und bei der Erfüllung ihres individuellen Lebensglücks wünschte er abschließend allen Abiturienten stets viel Mut und Herz, gepaart mit Zuversicht und Freude.
„Ganzheitlich gebildete Persönlichkeiten zum Sprung ins Leben bereit“
Nach einem gefühlvollen und harmonischen musikalischen Intermezzo, dargebracht von Daniel Tom Struwe (Saxophon), Michel Alexander Struwe (Klavier) und Christian Brand (Schlagzeug), die als Instrumentaltrio den Coldplay-Klassiker „Clocks“ interpretierten, ergriff dann Schulleiter OStD Johann Book das Wort und wandte sich in seiner Ansprache an die Abiturienten. Ganz persönlich und auch im Namen aller Lehrkräfte des Gymnasiums Harsefeld beglückwünschte er sie zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife, die sie sich durch den Nachweis von Kenntnissen und Kompetenzen sowie durch eigene Anstrengungen verdient hätten.
Im seinem kritischen bildungspolitischen Rückblick auf ihre achtjährige Gymnasialzeit, die sie als Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihren Lehrern erlebt haben, hätten beide Seiten einen „gigantischen Bildungsbrocken“ zu verdauen gehabt: Anstatt sich am klassischen deutschen Bildungsideal der ganzheitlichen Persönlichkeitsbildung zu orientieren, das sich seiner Auffassung nach schon in dem von ihm eingangs zitierten Gedicht Wilhelm Buschs widerspiegele, und sowohl Nützliches als auch gleichermaßen die persönliche Identität zu fördern („auch der Weisheit Lehren muss man mit Vergnügen hören“), hätten an den deutschen Schulen in der jüngeren Vergangenheit vielmehr „Pisa-Testeritis“ und Vergleichsarbeiten, die Formulierung einheitlicher Bildungsstandards, Neufassungen aller Fach-Curricula sowie der Siegeszug der Präsentationen einer Art Reduktionalismus zunehmend Vorschub geleistet.
Als Voraussetzung für die Entwicklung der Kritikfähigkeit und der Urteilskraft des Einzelnen bedürfe es aber der Sachkompetenz, der vorrangigen Vermittlung eines verlässlichen Wissens in der Schule, das zudem auch nicht mit einer reinen Informationsvermittlung verwechselt werden dürfe, ansonsten „koche man ohne Zutaten oder stricke ohne Wolle“, so seine mahnenden Worte.
Angesichts des medial gegenwärtig vermittelten Bildes von „modernen Verdienern“ — eben nicht mehr die Dichter und Denker im sprichwörtlichen Sinne des Wortes — beschlichen OStD Book leichte Zweifel, ob die aus seiner Sicht unverzichtbare ganzheitliche Persönlichkeitsbildung gesellschaftlich noch gewollt sei oder vielen schon längst eine „verzweckte Bildung“ genüge. Bereits der Dichter Heinrich Heine, den er in diesem Zusammenhang zitierte, habe mit seinem Aphorismus „Geld ist rund und rollt weg, aber Bildung bleibt!“ eine zeitlos geltende Feststellung über die Vorrangigkeit der ideellen gegenüber den materiellen Werten getroffen.
Vor diesem aufgeworfenen Problemhorizont wagte der Schulleiter des Gymnasiums Harsefeld eine abschließende Positionsbestimmung und versuchte, den diesjährigen Abiturjahrgang 2012 mit Rückblick auf ihm besonders Erinnerungswürdiges im schulischen Orientierungsrahmen zu verorten. Dabei bescheinigte er ihm neben Leistungswillen und Leistungsfähigkeit auch Einfallsreichtum und Humor — gerade Letzteres habe nicht nur wegen „anregender Tanzdarbietungen“ die sogenannte Mottowoche bewiesen. Darüber, ob das symbolische Reinigungsritual vor der Volksbank tatsächlich ihre Reife demonstriert habe, ließe sich trefflich streiten, nicht aber das von ihnen nachgewiesene Verantwortungsbewusstsein in Abrede stellen, das der Jahrgang beim „perfekt durchorganisierten Chaostag“ gezeigt habe. Alles in allem, so OStD Book in seinem Fazit, handele es sich bei den Abiturienten dieses Jahrgangs “offenbar um ganzheitlich gebildete Persönlichkeiten, bereit zum Sprung ins Leben”, denen alle Lehrerinnen und Lehrer alles Gute und viel Glück und er selber darüber hinaus auch Gottes Segen wünschen.
Feierliche Übergabe der Abiturzeugnisse
Bevor Schulleiter Book zusammen mit dem Oberstufenkoordinator Herrn Dirk Graevenitz sowie den drei Tutoren der Jahrgangsstufe 12, Herrn StD Hans-Jürgen Schomaker, Herrn OStR Uwe Sczeponik und Herrn StR Carsten Springmann, den Abiturienten schließlich die Zeugnisse gruppenweise aushändigte, dankte er zuvor dem Kollegium für die im Zusammenhang mit dem Abitur von allen geleistete Arbeit und für das zu ihren Schülern aufgebaute besondere pädagogische Vertrauensverhältnis. Zudem habe sich gerade Herr StD Graevenitz stets verantwortungsvoll um jeden Primaner individuell gekümmert und den gesamten Abiturablauf reibungslos organisiert, was eine ausdrückliche Danksagung verdiene.
Im Anschluss daran konnten die einzeln namentlich aufgerufenen Abiturientinnen und Abiturienten aus der Hand von OStD Book das von ihnen lang ersehnte Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife, seine sowie die persönlichen Glückwünsche ihrer Tutoren entgegennehmen. In den Reigen der Gratulanten reihten sich stellvertretend für die gesamte Schülerschaft auch Fünftklässlerinnen und Fünftklässler aus der Klasse von Frau StR´ Katja Frank ein, die den auf der Bühne im Mittelpunkt stehenden Schulabsolventen charmant weiße Rosen überreichten.
„Danke für diesen Moment! Ihn mit so vielen zu teilen ist echt ein riesen Geschenk“
Der auf die Aushändigung der Abschlusszeugnisse folgende musikalische Beitrag des schon zur Eröffnung der Festveranstaltung aufgetretenen Chors wurde dann von Kevin Patrick Jahns und Lars Oellerich als Gesangssolisten unterstützt. Gemeinsam trugen sie die Neuinterpretation von „7 Seconds“, Thomas Ds. „Million Voices“, in gekonnter HipHop-Manier vor und sorgten mit ihrem nachdenklich und demütig stimmenden Song für einen dem feierlichen Anlass besonders gerecht werdenden emotionalen Moment.
Ehrungen und Würdigung der besonderen Leistungen
Für die jeweils besten Leistungen im Abitur hatte die Bürgerstiftung der KSK Stade, vertreten durch Herrn Wilhelm Hilz, zwei Geldpreise ausgelobt, die der Jahrgangsbeste David René Stüben und Lena Teipelke entgegennehmen durften. Wiederum Lena sowie Dominik Lohmann erhielten anschließend in Anerkennung ihrer besonderen fachspezifischen Prüfungsleistung in den MINT-Fächern Buchpräsente und Ehrenmitgliedschaften in der Deutschen Mathematiker Vereinigung und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Vivienne-Christine Ahrens wurde für ihre fundierten Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der lateinischen Sprache vom Altphilologenverband ausgezeichnet. Für die Würdigung ihres besonderen sozialen Engagements oder desjenigen für die Schulgemeinschaft bat dann OStD Book gleich fünf Abiturienten zu sich auf die Bühne: Sina Bredehöft, Lisa Buck sowie Tobias Grünhagen, Hendrik Meißner und Dennis Weidemeier. Die ihnen zugedachten Präsente, die vom Förderverein des Gymnasiums Harsefelds gestiftet worden waren, überreichte dessen Vorsitzender, Herr Hans-Hinrich Koppelmann.
„Mit Unterricht bei wahren Raritäten nahe dran an der Perfektion“
An einem pointierten, keinesfalls aber wehmütigen Rückblick auf ihre vergangenen zwölf Schuljahre ließen dann Hendrik Mießner und seine Vortragspartnerin in der von beiden stellvertretend für den Jahrgang gehaltenen Ansprache alle Anwesenden teilhaben. Schlaglichtartig erinnerten sie an ihr erstes „Durchschreiten“ des Zahlenraums von eins bis zehn, an vermittelte wesentliche Vorausetzungen für ihren schulischen Erfolg („Füllerschreiben“, Pokemon-Karten, erste englische Wörter und die Entscheidungsfreiheit bei der Kurswahl), aber auch an Hemmnisse ihres Lern- und Leistungswillens (unliebsame Mitbewohner in provisorischen Klassenräumen, die lebendige Begegnung mit „toten“ Sprachen oder der Verlust von Mitschülern in der Mittelstufe).
Allen Widrigkeiten zum Trotz habe sich aber insbesondere während der intensiven Lernzeit in der Oberstufe eine Gemeinschaft herauskristallisiert, in der „jedes Individuum seinen Platz gefunden und charakterstark verteidigt“ habe. Dabei seien sie von „wahren Raritäten“, die alle eine Erfahrung wert gewesen waren, im Unterricht mit Herz, Geduld und Tatendrang gebändigt und schließlich auf die Abiturprüfungen vorbereitet worden. Entlassen werde man nun in einem Zustand „nahe dran an der Perfektion“, der es erlaube, großen Träumen nachzugehen und — wie von Hendrik augenzwinkernd hinzugefügt — über die zweifellos sich einstellenden Erfolge auf künftigen Ehemaligen-Treffen berichten zu können.
„Sich aus eigener Kraft bewähren und für sein Schicksal selbst verantwortlich sein“
Den Reigen der Festredner schloss dann nicht als Mandatsträger, sondern als Elternvertreter Herr Landtagsabgeordneter Helmut Dammann-Tamke, der eingangs seine persönliche Freude darüber zum Ausdruck brachte, dass die diesjährige Entlassungsfeier es nicht nur den Abiturienten am Gymnasium Harsefeld ermögliche, gemeinsam mit ihren „alten“ Lehrern diesen festlichen Anlass zu begehen. Vielmehr könne er selber nicht nur als stolzer Elternteil, sondern gleichzeitig auch mit zweien seiner ehemaligen Stader Lehrer, Herrn Book und Herrn Schomaker, seine eigene vor 32 Jahren ausgebliebene offizielle Verabschiedung endlich nachholen.
Seine ausdrückliche Gratulation zum Erreichen der in ihrem Leben wichtigen Wegemarke „Hochschulreife“ sprach Herr Dammann-Tamke nicht nur den Abiturienten aus, sondern auch ihren „Wegbereitern“, den Eltern und dem Lehrerkollegium. Letzteres habe neben der Aufbauarbeit, die ein neu einzurichtendes Gymnasium mit sich bringe, „eine „hervorragende Ausbildung vermittelt.“ Die jungen Erwachsenen forderte er dahingehend auf, ihren ganz persönlichen Interessen zu folgen, gleichzeitig aber auch sich Neuem nicht zu verschließen und für ein lebenslanges Lernen offen zu bleiben.
Einen „Wegweiser“ für die Bewältigung ihrer künftiger Aufgaben und Herausforderungen sehe er in dem bekannten Zitat von Ludwig Erhard: „Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein, sorge du, Staat, dass ich dazu in der Lage bin.“ Damit sei aber keineswegs einer Entsolidarisierung das Wort geredet: Unser „wunderbarer Staat“ solle vielmehr dafür Sorge tragen, dem Einzelnen soviel Freiheit und Gestaltungsspielraum einzuräumen, dass dieser die vielfältigen Bildungsmöglichkeiten und Lebenschancen auch nutzen könne. In seinem Schlusswort appellierte Herr Dammann-Tamke an unsere Abiturienten: „Die Welt steckt voller Chancen — machen Sie etwas daraus!“
Gipfelaufstieg: “Die ersten Selbstgezogene am Gipfelkreuz angelangt“
Auch Schulpastor Axel Rothermundt ist für unsere Abiturienten vor acht Jahren einer der „Lehrer und Lehrerinnen der ersten (Schul-)Stunde“ in der Jahnstraße gewesen und hat seither ihre eingeschlagenen Lernpfade und ihren “Aufstieg zum Gipfel” wohlwollend begleitet. Anschaulicher und sinnfälliger als das von ihm in der Einleitung zu seinem Segensspruch geprägte sprachliche Bild mit einer doppelten Metapher konnte dieser „besondere Jahrgang“ eigentlich nicht charakterisiert werden: „Unsere ersten ‘Selbstgezogenen´ sind am Gipfelkreuz angekommen.“ Um sie auch weiterhin vor allen Fährnissen des Lebens zu schützen, spannte er nicht nur symbolisch über ihnen einen „Segensschirm“ auf und sprach für alle Anwesenden ein Gebet.
Schlussakkord
Für den musikalischen Ausklang, dem noch die Verabschiedung der Gäste und der Dank von OStD Book an alle diejenigen, die der feierlichen Entlassung der Abiturienten 2012 einen würdigen Rahmen gegeben hatten, sowie ein zwangloses Beisammensein im Forum mit einem Glas Sekt folgten, sorgte noch einmal ein Instrumentaltrio. Dieses Mal im Zusammenspiel mit Marina Finke am Violoncello setzten Daniel und Michael Struwe mit einem einfühlsam intonierten „Time to say goodbye“ den Schlussakkord der festlichen Veranstaltung.
Fotos: Maren Pieper (1) und Diedrich Hinrichs (9)